Publishing der Zukunft: Prozesse und Strukturen – Insider-Tipps der NZZ

Im ersten kressTalk stand Andreas Bossecker, Technologiechef der NZZ, Rede und Antwort zur digitalen Transformation des Medienhauses. Welche Tipps hat er für Verlage und Publisher?

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Andreas Bossecker von der NZZ spricht im kressTalk über digitale Transformation und wie sie gelingt.
Bild: Matthias Süßen - CC BY-SA 4.0 | LinkedIn

Der digitale Wandel ist trotz Internet, Smartphone und Künstlicher Intelligenz noch nicht überall angekommen. Verlage und Publisher von Print-Magazinen tun sich bis heute schwer, Workflows und Strukturen auf das digitale Zeitalter umzustellen. Doch die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Laut Statista sanken die Auflagen von Tageszeitungen allein in Deutschland zwischen 1991 und 2019 von 27,3 auf 12,5 Millionen. Das ist ein Rückgang von mehr als 50 Prozent.

Stur am althergebrachten Print-Geschäftsmodell festzuhalten, ist daher keine gute Idee. „Die Kollegen in der Redaktion haben sehr wohl begriffen, dass das nicht ewig so weitergeht“, sagt Andreas Bossecker im ersten KressPro Webtalk. Bossecker ist Technologiechef der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ).

Etwas zu wissen, ist das eine. Die richtigen Schlüsse zu ziehen und es in die Tat umzusetzen – das ist eine ganz eigene Herausforderung. Wie ist die NZZ diesen Prozess angegangen, was lernte sie dabei und ist die digitale Transformation des Medienhauses erfolgreich verlaufen?

Vom traditionellen Print-Verlag zu „Digital First“

Als Andreas Bossecker 2014 den Posten des Technologiechefs bei der NZZ übernimmt, findet er eine klassische Situation vor: Ein gut situiertes Medienhaus steht vor der Herausforderung der digitalen Transformation.

Dass diese stattfinden muss, ist der Geschäftsführung klar – und das ist entscheidend. „Diesen Wechsel muss man wirklich wollen“, sagt Bossecker. „Wenn man einer 240 Jahre alten Organisation plötzlich sagt: ‚So Leute, eure heiß geliebte Zeitung ist in Zukunft nicht mehr das einzige Produkt, das ihr produzieren werdet, und wir wollen ins Digitale, weil dort die Zukunft ist‘ - dann brauchen Sie viel Willen im Management und Sie müssen die gesamte Organisation dabei mitnehmen.“

Die Kollegen in der Redaktion haben sehr wohl begriffen, dass das nicht ewig so weitergeht.

Andreas Bossecker

Am Anfang der digitalen Transformation steht die Entwicklung einer Strategie: Wo steht der Verlag? Was ist das Ziel? Wie kommt die Organisation dorthin?

„Das Ziel war uns ziemlich klar“, sagt Bossecker. „Wir wollten im digitalen Lesermarkt wachsen. Mit diesem Ziel im Hinterkopf haben wir dann eine Architekturskizze entworfen, nicht besonders kompliziert, vielleicht 30 Punkte mit einfachen Bezeichnungen wie Editor oder Web App. Damit haben wir die Wachstumsstrategie für die Technologie übersetzt.“

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Gibt es eine Strategie, geht es an die Umsetzung. Bei der NZZ besteht sie aus drei sich überschneidenden Phasen.

Phase 1: Die Voraussetzungen schaffen

Zuerst müssen die notwendigen organisatorischen und technologischen Voraussetzungen geschaffen werden. Bei der Inventur der eigenen Optionen stellt die NZZ fest, dass die Strukturen stark auf Betrieb, also im Kern auf die Zeitungs-Produktion ausgelegt sind. Das Know-how für die digitale Transformation fehlt jedoch.

Von den rund 60 Beschäftigten arbeiteten 2014 gut zwei Drittel im reinen Betrieb. Um den Umbruch erfolgreich zu gestalten, mussten die nötigen „Skills“, wie Bossecker es nennt, dazu geholt werden.

„Da hat wieder die Architekturskizze geholfen“, führt er aus. „Welche Legacy-Systeme können wir behalten, weil die Prozesse in Ordnung sind? Welche müssen wir ersetzen oder ergänzen? Das hat uns Aufschluss darüber gegeben, welche zusätzlichen Skills wir akquirieren müssen. Die hat man aber nicht üblicherweise in der eigenen Organisation, deshalb ist die Bildung eines Partnernetzwerks sehr wichtig.“

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Ein zukunftssicheres Gebäude braucht einen guten Architekturplan - ebenso wie die digitale Transformation eines Medienhauses.
Lex Photography | Pexels

Die NZZ geht eine strategische Partnerschaft mit Sternwald, Livingdocs und Netcetera ein. In diesem Zusammenhang werden wichtige Weichen gestellt. „Die erste Entscheidung war, dass es keinen Unterschied mehr zwischen Digital oder Print gibt, sondern dass es eine Einheit wird“, führt Bossecker aus. „Wir nennen das den ‚konvergenten Workflow‘. Der Redakteur denkt also nicht mehr darüber nach, für welches Medium er schreibt.“

Intern spricht die NZZ von einer Plattform statt einzelnen Elementen. Von Beginn an werden dafür ausschließlich offene Systeme in Betracht gezogen. In einer Zeit rasanter technologischer Entwicklung will die NZZ die Plattform jederzeit flexibel auf Veränderungen im Publishing-Markt anpassen können. Mit einem „Vendor Lock“-System, das von einem einzigen Hersteller abhängt, ist das kaum möglich und ein späterer Wechsel kann teuer werden.

In Kombination mit dem unbedingten Willen des Medienhauses, digital zu wachsen und die Zukunft in digitalen Produkten zu suchen, nimmt die NZZ Umstrukturierungen vor und führt neue Prozesse und Tools ein. Einige Prozesse und Werkzeuge werden in die Cloud ausgelagert, andere von Partnern entwickelt. Die Ressourcen der  IT-Abteilung werden auf den direkt wertschöpfenden Bereich verlagert: die Produktion und Vermarktung redaktioneller Inhalte.

„Wir haben klare Prioritäten gesetzt und mit Prozessinnovationen in der Redaktion angefangen“, erzählt Bossecker. „Livingdocs hat beispielsweise innerhalb unserer Organisation in den ersten zwei Jahren wie ein kleines Start-up gearbeitet. Die saßen dann direkt bei mir in der Technologie und haben eng mit der Redaktion kooperiert. Dadurch sind wir schnell mit einer praktikablen Lösung für die Redaktion vorangekommen.“

Inhaltliche Konzepte und moderne Produkte mit Schnittstellen für Datengenerierung stehen im Fokus des Teams, das auf dieser Basis die Vermarktung optimiert.

Phase 2: Die Organisation mitnehmen


Mit den richtigen Partnern und neuen technischen Möglichkeiten im Rücken startet die zweite Phase, in der die NZZ die digitale Transformation in die Praxis umsetzt. Ein wichtiger Baustein dabei ist, die eigenen Angestellten durch gute Kommunikation mit auf die Reise zu nehmen. Einige Angestellte gehen, neue kommen. Die NZZ achtet darauf, dass sie in das künftige Betriebsmodell passen.

Die Geschäftsleitung der NZZ unterstützt Bosseckers Kurs. „Wir sind relativ rigoros vorgegangen und haben teilweise einfach Fakten geschaffen, um die Umsetzungsgeschwindigkeit aufrechtzuerhalten. Wenn es zu lange dauert, versickert das nämlich einfach irgendwo.“ Mit zunehmenden Erfolgen fällt dieses Vorgehen laut Bossecker leichter, die Akzeptanz im Unternehmen wächst.

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In der NZZ-Redaktion gilt der Livingdocs-Editor als optimal. 
Livingdocs

Außerdem werden größere Änderungen schrittweise eingeführt. Der neue Editor von Livingdocs steht der Redaktion beispielsweise zunächst zum Ausprobieren zur Verfügung. „Das hat dazu geführt, dass es ein paar ‚Piloten‘ gab, die den Editor super fanden und sagten: ‚So stelle ich mir die Tools für den Journalismus von Übermorgen vor‘. Diese Redakteure sorgten dann als Inkubatoren dafür, dass der Editor schnell und vor allem völlig schmerzlos angenommen wurde.“

Die gute Benutzerführung von Livingdocs beschleunigt den Übergang. Bald arbeiten alle mit dem neuen Editor und das alte Redaktionssystem wird abgeschaltet.

Phase 3: Innovation des Geschäftsmodells


Gerade bei Innovationen laufen Prozesse parallel ab. Viel Zeit und Aufwand fließt in das Thema ePaper, das die NZZ mit Sternwald umsetzt. Finite Produkte erreichen nämlich weiterhin eine große Zielgruppe.

„Das ePaper ist vor allem ein Produkt für die ältere Zielgruppe, die Zeitungsleser, die sich zuerst einmal vom Briefkasten befreien möchten,“ erklärt Christof Zahneissen von Sternwald, der als Gast und NZZ-Partner ebenfalls zugeschaltet war. „Über die Anreicherung des ePaper mit Bildstrecken oder Videos können wir diese Zielgruppe auch in die infiniten Endprodukte reinholen. Die lange Nutzungszeit und die Personalisierung erlaubt zudem eine gute Konversion durch Werbepartner und Beilagen.“

Eben diese Monetarisierung ist das Geschäftsziel des Verlags: Wie werden aus Gelegenheitsnutzern loyale und zahlende Kunden? Neben inhaltlicher Qualität sind individualisierte Paywalls eine Erfolgsgeschichte der NZZ, berichtet Bossecker.

„Wir sind tatsächlich in der Lage, unsere Paywall so zu steuern, dass sie relativ individualisiert reagiert und Nutzern auf einem bestimmten Kanal zu einer bestimmten Uhrzeit ein bestimmtes Angebot ausspielt. Hier sind wir sehr weit in der Konfektionierung der Paywall fortgeschritten. Sie konvertiert aufgrund der Individualisierung sehr gut und trägt maßgeblich zu unserem Erfolg bei.“

Ich kann alle nur ermuntern, Forward Publishing zu unterstützen, denn im Kern geht es darum, Prozesse und Systeme für die nächste Generation des Publishings zu schaffen.

Andreas Bossecker

Diese Strategie zahlt sich aus: Seit 2018 verzeichnet die NZZ im Lesermarkt einen Zuwachs von 25 Prozent, vor allem im digitalen, und erreichte vor Kurzem - deutlich früher als ursprünglich geplant - das erste große Ziel von 200.000 zahlenden Abonnentinnen und Abonnenten.

Von der NZZ lernen: Digitale Transformation mit Tempo und Augenmaß

Die digitale Transformation läuft bei der NZZ seit sechs Jahren. In dieser vergleichsweise kurzen Zeit wurden bereits deutliche Erfolge erzielt – das digitale Geschäft wächst rasant. Vom dabei erlangten Know-how soll die ganze Verlagsbranche profitieren: „Deshalb gibt es Forward Publishing“, sagt Bossecker. „Es war von Anfang die Idee, dass das Know-how, das wir hier aufbauen, nicht uns allein gehört, sondern die Branche voranbringen soll.“

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Für effizentes Publishing brauchen Verlage viele Einzellösungen - oder eine Publishing-Plattform, die alles abdeckt.
Forward Publishing

„Wenn Sie heute den Markt betrachten, finden Sie keine Komplettlösung, sondern nur zahlreiche Einzellösungen,“ erklärt Bossecker.„Jeder von uns ist darauf angewiesen, dass er in seiner individuellen digitalen Transformation die passenden Technologien bekommt. Das war die Geburtsstunde von Forward Publishing. Ich kann alle nur ermuntern, diese Idee zu unterstützen, denn im Kern geht es darum, Prozesse und Systeme für die nächste Generation des Publishings zu schaffen.“

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Von alteingesessenen, konservativen Anbietern sei das in näherer Zukunft kaum zu erwarten. „Deshalb müssen wir mit eigener Intelligenz an das Thema herangehen“, schließt der Technologiechef der NZZ. „Dafür gibt es einen Inkubator, und der heißt Forward Publishing.“